Datum: 28.10.2018 | Ort: Vinales
Quartierwechsel in Vinales
Der nächste Morgen beginnt mit kräftigen Kopfschmerzen, dem Geschrei nach Antonio und einer lauten Klimaanlage. Wenigstens fühlt sich Max besser.
Wir packen unsere Sachen. Um neun wollen wir auschecken. Kurz vor neun klopft es an der Tür. Die junge Gastgeberin fragt wie es uns denn heute so geht, das Frühstück sei fertig. Ich bin etwas überrascht, denn wir haben für heute kein Frühstück bestellt. Das sage ich ihr auch, freundlich, aber bestimmt. Sie nickt, scheint leicht verärgert, sagt aber nichts. Was denn unsere Pläne für heute seien, frag sie weiter. Ich sage ihr, wir möchten jetzt dann auschecken. Sie ist jetzt offensichtlich verärgert. „Fahrt ihr nach Havanna oder wechselt ihr die Unterkunft?“ fragt sie schnippisch. Ich zucke die Schultern: „Wir werden sehen.“ antworte ich wage. Sie rauscht aufgebracht davon.
Ein bisschen leid tut sie mir, denn ich bin mir sicher, das Leben ist nicht das einfachste für diese Familie. Aber bin ich moralisch verpflichtet in einer Unterkunft zu bleiben in der ich mich nicht wohl fühle, nicht schlafen kann und die Gastgeberin einfach nur anstrengend finde? Ich denke an die Unterkünfte in Trinidad und Playa Larga. Die Ausstattung war dort nicht besser, auch diese Familien wollten Geld mit uns machen, aber ich habe mich nicht gefühlt als wollten sie uns nur um jeden Preis ausnutzen. Daher habe ich kein schlechtes Gewissen, auch nicht als die ältere Dame des Hauses die Abschlussrechnung bringt und dabei pure Verachtung in ihrem Blick hat. Ich bin froh, das Haus hinter uns zu lassen, als wir gehen. Hinter mir höre ich die Hausherrin nach Antonio schreien.
Eine weitere Unterkunft in Vinales
Unsere neue Unterkunft ist nur wenige hundert Meter entfernt. Wir gehen durch das eiserne Tor in den Hinterhof, klopfen und machen uns mit einem „Hola“ bemerkbar. Eine Ältere Dame sitzt mit einem kleinen Hund im Hof. Sie spricht zwar kein Englisch, plaudert aber unbeirrt fröhlich auf Spanisch mit uns. Wir verstehen nur Bahnhof, aber sie klingt nett. Die junge Hausherrin kommt hinzu. Der Hund wird uns als vier Monate alter Pekinese Balu vorgestellt. Zur Begrüßung werden wir von ihm erst einmal ordentlich abgeschlabbert und angekaut. Er ist fürchterlich niedlich. Allerdings bleibt er an der Leine. Das heißt, wer ihm aus dem Weg gehen mag, kann auch das problemlos.
Die Hausherrin zeigt uns kurz ihre selbstgebastelte Bilderwand mit Ausflugszielen. Die Preise hat sie jetzt allerdings nicht genau im Kopf. Wenn wir etwas machen wollen, sollen wir uns bei ihr melden, dann würde sie sich mal erkundigen. Wir sagen ihr, dass wir bereits einen Ausflug gemacht haben und für den nächsten Tag eine Sonnenaufgangswanderung gebucht haben. Eine Gute Wahl findet sie. Falls wir trotzdem noch was brauchen, können wir Bescheid sagen. Damit ist das Thema für sie abgeschlossen. Diese zwanglose Art finde ich sehr angenehm.
Eine Ortsbegehung in Vinales
Wir setzen uns einige Minuten ins Zimmer. Ich genieße die Ruhe. Ich fühle mich plötzlich sehr entspannt.
Dann gehen wir Mittagessen. Eine Tappasbar wird es heute. Sie ist sehr modern gestaltet, die Musikplaylist gefällt mir sehr gut. Der Kellner ist freundlich. Max hat eine Tappasplatte, bei mir gibt es Nudeln mit Tomatensoße. Die Soße hat einen seltsamen Beigeschmack nach einem Gewürz, das nicht recht zum Essen passt, ist sonst aber lecker.
Nach dem Essen gehen wir in einen Supermarkt, um uns mit Wasser einzudecken. Wasser ist ausverkauft.
Gegen Abend machen wir einen Spaziergang in die Stadt und gehen zur Abwechslung einmal in die Viertel über die große Hauptstraße Richtung Tal. Wir entdecken ein Freiluft Fitnesstudio, mit Eigengewichtgeräten, die komplett durchgerostet sind. In Playa Larga hatte es auch so eines gegeben. Nette Idee, aber inzwischen leider für’n Ar***.
Wir gehen weiter durch das Wohnviertel. Die Hauser hier sind schön. Die meisten haben schöne Gärten dabei. Hätten wir noch keine neue Unterkunft, hätte ich mir definitiv hier eine gesucht. Kuriositäten sehen wir natürlich trotzdem: Eine Bäckerei mit Ornamenten in der Wand, durch die die Spatzen ungehindert in die Backstube hinein und hinausfliegen können und ein aufgebocktes Auto vor einer Tür, das vor Rost beinahe auseinander fällt. Die Dosen auf denen es steht, sind ebenfalls schon so verrostet.
Die Kuhhöhle
Während wir herumlaufen, fällt uns auf, dass es hier sehr viele Deutsche und Franzosen gibt, deutlich mehr noch als an den Orten, die wir zuvor besucht hatten.
Als wir die Stadtgrenze von Vinales passieren, steht da ein Hinweisschild zu einer Kuhhöhle in 1,5 Kilometern. Das Wetter ist schön, die Straße halbwegs trocken, also machen wir uns auf den Weg.
Unterwegs stehen viele Pferde am Wegrand angebunden und dösen. Gelegentlich versucht uns jemand am Wegrand eine Tour, ein Pferd oder ein Taxi aufzuschwatzen. Alles in allem ist es aber sehr entspannt. Der Weg endet an einem Bauernhof mit Restaurant.
Ein alter Mann, er stellt sich als Rey vor, begrüßt uns freundlich auf Spanisch und zeigt uns stolz seine Wand mit Aufklebern und Abzeichen aus aller Herren Länder. Ein Aufkleber des FC Sankt Pauli ist dabei, ein weiterer Aufkleber auf dem steht ’schön hier, aber waren sie schon mal in Baden-Würtemberg?‘, und zwei Abzeichen von deutschen Polizeiuniformen. Wie genau diese Wand zustandekam weiß ich nicht. Der alte Mann ist inzwischen schon damit beschäftigt zwei jungen Franzosen französische Souvenirs zu zeigen.
Wir gehen durch das Restaurant weiter. Neben dem Haus ist ein Tier angebunden. Es sieht etwas aus wie ein kleiner Biber, mit einem sehr kurzen Rattenschwanz und sehr langen Schnurrhaaren. Es ist eine Baumratte, erklärt uns Yummy am nächsten Tag. Normalerweise werden sie hier gegessen. Manchmal behalten Farmer aber auch Jungtiere als Haustiere. Die Ratte bekommt von einem Angestellten eine Banane. Sie schält sie fachmännisch und mümmelt sie genüsslich. Ray versucht derzeit im Restaurant einer Gruppe Touristen Rum zu verkaufen.
Wir gehen den Weg weiter. Neben dem Weg wachsen Kokosnüsse. in einem Verschlag liegen zwei fette Schweine. An einer Stelle führt eine Straße von Blattschneideameisen über den Weg, die emsig das umliegende Grün in ihren Bau schleppen, um ihren Pilz zu füttern.
Dann endet der Weg an einem Zaun. Während wir noch etwas ratlos davor stehen, holen uns die zwei jungen Franzosen vom Eingang ein. Wir müssen über den Zaun erklären sie uns. Gesagt getan. Wir kommen genau zehn Meter weiter dann gabelt sich der Weg. Ein Teil führt in den See, ein Teil führt eine steile Felswand hinauf und ein Weg führt über einen Zaun in eine Weide mit zwei jungen Bullen.
Zwei weitere Touristengruppen kommen hinzu. Ein ostdeutscher Vater mit seiner pubertierenden Tochter und einem halbwüchsigen Sohn, die beide recht unmotiviert aussehen und ein junges Pärchen, dessen Nationalität ich nicht ganz zuordnen kann. Max geht mit dem Pärchen und einem der Franzosen den Weg in die Felsen hinauf, um zu sehen wo er hinführt. Ich bleibe derzeit mit dem anderen Franzosen vor der Weide stehen und wir mustern die Bullen.
Der deutsche Vater kommt zu uns. Zwei Bullen könne man ja nur zusammensperren, wenn sie friedlich seien. Sonst ginge das ja gar nicht. Er selbst sehe ja absolut kein Problem darin die Weide zu überqueren. Das müsse schon gehen, erklärt er im geübtem Mansplaining (umgs.: Klugscheißern von Männern gegenüber Frauen) Wir sollen doch mal auf die Weide gehen, er würde es sich dann ansehen und mit seiner Familie nachkommen, wenn die Kühe uns nichts täten. Ich schaue ihn irritiert an, doch er verzieht keine Mine und scheint das wirklich ernst zu meinen. Ich kann nicht wirklich glauben, was der Mann da für einen Stuss von sich gibt. „Vielen Dank für das freundliche Angebot“ antworte ich mit einem sarkastischen Lächeln und lass ihn stehen.
Inzwischen sind die Anderen zurück. Der Weg führt nirgendwo hin. Also muss der Weg wohl über die Weide führen. Ich klettere testweise auf die Leiter, die in die Bullenweide führt, immerhin muss es ja einen Grund haben, dass der Weg da durch führt. Dann warte ich darauf, ob die Tiere reagieren. Einer der beiden Bullen kommt her. Er ist nicht wirklich aggressiv aber er gibt schon zu verstehen, dass er mich lieber nicht auf seiner Weide hätte. Es wirkt auf mich etwas wie eine Machtdemonstration eines Teenager-Bulllen und vermutlich hätten wir das schon ausdiskutieren können. Aber ich hab keine Lust gegenüber einem behörnten Kleinwagen in der Pubertät mein Wegrecht zu behaupten und viel Übung mit Kühen habe ich auch nicht.
Ich klettere wieder von der Leiter. Von den Anderen hat offenbar auch niemand Lust sich mit dem Jungbullen anzulegen.
Wir halten ein Krisengespräch. Im Laufe des Gesprächs wird klar, die Kuhhöhle, zu der Max und ich wollten, ist momentan überschwemmt und gar nicht begehbar. Ich frage mich, was die anderen allen hier wollen und warum wir hier eigentlich herumstehen, wenn der Weg sowieso nirgends hinführt. Die Frage lässt sich nicht abschließend klären. Max und ich kehren um, die anderen folgen uns.
Sonne geht langsam unter. Wir gehen zurück in die Stadt. Dort gehen wir nochmals in einen Supermarkt. Als wir gerade durch die Türe gehen werden wir aufgeklärt, dass er schon zu hat. Es ist inzwischen Samstag Nachmittag. Die Zuversicht noch Wasser aufzutreiben schwindet. Wir gehen weiter durch die Stadt und kommen erneut an dem Supermarkt vom Vormittag vorbei. Durchs Fenster sehen wir, dass er inzwischen wieder Wasser hat. Eine lange Schlange von Touristen steht bereits an der Kasse. Max kauft sich zu unseren drei Flaschen Wasser noch eine kleine Flasche Tonicwater. Als wir hinausgehen, werden wir nach dem Kassenzettel gefragt. Natürlich haben wir ihn aus Gewohnheit an der Kasse liegen lassen. Max flitzt zurück zur Kasse, bringt den Kassenzettel, der zum Glück noch da lag. Er wird akribisch kontrolliert und wir können gehen. Den nächsten ergeht es genauso. Diebstahl von Lebensmitteln scheint ein echtes Problem zu sein hier.
Als wir auf die Straße gehen, werden dort gerade Tische und Stühle aufgebaut und die Hauptstraße für Autos gesperrt. Ich habe Mitleid mit allen, die gerade auf der Straße nach Vinales im Stau stehen. Max trinkt genüsslich sein Tonicwater und ist selig.
Der vegetarische Alptraum
Wir kommen zu einer fancy Bar (‚Cubar‘), bei der wir bereits sehr gute Cocktails getrunken hatten. Das Essen hatte gut ausgesehen also setzen wir uns. Der Kellner spricht etwas deutsch und ulkt mit uns herum. Die Stimmung ist gut. Auf der Karte gibt es einen ‚vegetarian Hamburger‘. Ich freue mich und bestelle ihn. Dazu gibt es Pommes. Max bestellt einen normalen Hamburger und Rosmarinkartoffeln extra.
Mein Burger kommt. Er ist mit Tomaten, Salat, Spiegelei und einem nicht näher definierbaren Patty belegt. Optisch sieht er gut aus. Es ist sehr weich, irgendwie matschig und schmeckt nach nichts. Bohne vermute ich. Max probiert und stimmt mir zu. ich esse ein paar Bissen, als ich plötzlich auf etwas hartes fasriges beiße. Ich spucke es aus. Das Innere meines Pattys ist rosa, fest und fasrig. Fleisch in meine Augen. Max schaut es sich an, probiert. Nach seinem Dafürhalten ist es kein Fleisch, denn: „Fleisch wäre nicht so ekelig und komisch“. Außerdem sei sein Fleisch gut gewesen und der Kellner hatte ihm nach dem Gargrad gefragt, mich aber nicht. Es klingt für mich logisch, vor allem, nachdem Max ein erfahrener Fleischesser ist. Ich finde den Patty trotzdem ekelig und tue ihn runter und esse den Burger appetitlos ohne Patty. Als der Kellner wieder an den Tisch kommt frage ich ihn aus was das Patty ist. Auf den Hamburgern sei Rindfleisch erklärt er. Ich sage ich hätte den vegetarian Hamburger gehabt. Ja, der sein mit Tomaten und Spiegelei. Aus was das Patty sei, frage ich nach. Er versteht die Frage nicht.
So langsam tickert es mir. Im spanischen heißt er Hamburger vegetraiano, was so viel heißt wie ‚Hamburger mit Gemüse‘. Auf Englisch hätte er dementsprechend ‚Hamburger with vegetables“ heißen müssen. Der Unterschied zu ‚vegetarian‘, also ohne tote Tiere, ist hier aber offenbar niemandem bewusst. Ich sage nichts. Wir geben dem Kellner trotzdem Trinkgeld. Es ist eine andere Kultur, daran muss ich mich gewöhnen und in Zukunft vorsichtiger sein.
Wie ist es für einen Vegetarier Fleisch zu essen?
‚Wie ist es nach 20 Jahren zum ersten Mal wieder Fleisch zu essen?‘ Werden jetzt einige von euch fragen – Immerhin werde ich seit 20 Jahren auch ständig gefragt, ob ich es nicht doch einmal wieder Versuchen möchte. Die ehrliche Antwort: Ekelhaft! Es ist zu vergleichen mit dem Gefühl, das du hättest, würdest du herausfinden, dass das auf deinem Teller Rindernachgeburt oder Schweineaugen waren. Du weißt es wird dir vermutlich nicht schaden, aber du willst das nicht essen und das was du schon gegessen hast, würdest du gerne auskotzen. Noch dazu esse ich nach 20 Jahren mal wieder aus Versehen Fleisch und dann auch noch eins, das so ekelig ist, dass sogar mein fleischessender Freund es widerlich findet – Ich meine, wenn schon, hätte es nicht wenigstens etwas Gutes sein können? Ich mache mir die nächsten zwei Tage durchgehend Sorgen, dass ich eine Lebensmittelvergiftung bekomme. Das wäre schon eine böse Ironie des Schicksals. Ein ekeliger Geschmack im Mund und das Gefühl mich eventuell übergeben zu müssen, bleibt für einige Tage allgegenwärtig.
Nach dem Essen gehen wir zum WLAN-Spot. Mein Patty hatte ich in einer Serviette eingepackt. Essen wegzuwerfen, gerad Fleisch, fände ich eine Verschwendung. Zwei Straßenhunde freuen sich nun darüber. Sie sind sicherlich deutlich schlimmeres als Futter gewohnt. Gewürzt ist das Patty nicht, insofern sollten sie es auch ganz gut vertragen. Einer der beiden Hunde springt vor lauter Gier hoch und zwickt mich in den Finger. Es ist keine offene Verletzung. Angst vor Krankheiten muss ich daher nicht haben. Trotzdem schimpfe ich mich, weil ich zu unvorsichtig war und mein Finger tut ein bisschen weh. Es ist nicht mein Abend.