Nahaufnahme eines indischen Soldaten bei der Attari–Wagah border ceremony. Der Mann trägt einen Roten Kopfschmuck, der ihn wie ein Irokese höher wirken lässt

Verrückte Aufführung an der Wagah Border in Indien

Die Stadt Amritsar ist bekannt für einige Dinge. Im Herzen des Bundesstaates Punjab gelegen, gilt sie als eine der wichtigsten Ziele für Gourmets und Freunde der guten indischen Küche. Auch der goldene Tempel, das eindrucksvollste zentrale Heiligtum der Sikh Religion ist hier beheimatetet. Darüber hinaus erwartet Besucher allerdings auch eine Sehenswürdigkeit der ganz anderen Art.

Der indisch-pakistanische Konflikt ist eine der bekanntesten schwelenden Länderkonflikte der heutigen Zeit, kein Wunder machen die beiden Atommächte doch regelmäßig mit Säbelrasseln bis hin zu kleineren Scharmützeln von sich hören.

Und ausgerechnet an diese Grenze fahren Menschen freiwillig?  Aber absolut! Denn täglich zum abendlichen Fahnenapell treffen hier die Soldaten der befeindeten Staaten aufeinander und leisten sich einen ritualisierten Schlagabtausch. Und dieser ist … ungewöhnlich.

Los geht es um 16:00 mit der Schließung der Grenze. Jetzt strömen die ersten Zuschauer in die extra dafür vorgesehenen Stadien. 

Natürlich gibt es eine strenge Einlasskontrolle. Taschen sind aus Sicherheitsgründen auf dem Gelände verboten. Als Ausländer, der auch offensichtlich nicht indisch aussieht, habt ihr jetzt einen klaren Vorteil: Wenn noch VIP Plätze frei sind wird man euch mit Freuden in die VIP Schlange komplimentieren. Ihr spart euch das Anstehen und bekommt sehr gute Plätze. Warum? Natürlich um dem Nachbarland unter die Nase zu reiben, dass man internationale Unterstützung hat.

Das indische Grenzstadion, das extra für diese Show errichtet wurde, fasst über 1000 Plätze. Auf der pakistanischen Seite sind es nur einige hundert. Die Akteure des heutigen Abends sind Soldaten des indischen BSF (Grenztruppe) und pakistanische Ranger. 

Pakistanische Ranger
Indische BSF Soldaten

Die Wagah-Border Zeremonie

Die Show beginnt mit Musik aus Boxen, die groß genug sind, um kleineren Menschen in der ersten Reihe den Blick zu versperren und laut genug, um langfristig einen Gehörschaden zu verursachen. Es folg auf den Großbildleinwänden der indischen Seite der patriotische Zusammenschnitt einer GEO-Reportage über die indische Grenztruppe BSF. Derweilen laufen Verkäufer mit Indien-Fanartikeln und Fähnchen herum, andere bieten kalten Kaffee aus der Dose und Knabbereien feil. 

Während die pakistanische Seite sich erst jetzt langsam füllt, kocht die Menge in Indien bereits vor Vorfreude. Zeit für die Anheizer. In voller Montur, Uniform, Springerstiefeln, schusssicherer Weste und natürlich mit Headset, läuft ein BSF-Soldat vor den Rängen herum, übt über Lautsprecher mit dem Publikum Kampfschreie, La-Ola-Wellen und das Jubeln, das natürlich laut genug sein muss, um die Nachbarn zu übertönen. 

Den Höhepunkt der Vorbereitungen bildet der Fahnenlauf. Wer möchte, darf mit der indischen Flagge in der Hand einen Kreis in der Mitte des Stadions laufen und wird dabei von Publikum frenetisch bejubelt. Bei unserem Besuch bildet sich schnell eine lange Schlange an Kindern, deren Eltern den Lauf stolz mit dem Handy filmen. 

Nachdem die Stimmung jetzt siedet, kommen die Promis. Regionalpolitiker, höhere militärische Ränge und Co, werden mit viel Aufhebens begrüßt. 

Wir sind inzwischen zwar halb taub, die gute Laune färbt jedoch ab. Was wir von dem Ganzen halten sollen, keine Ahnung. Andrea, unsere aktuelle Reisebegleitung hat heute Geburtstag, also nutzen wir die Zeit und essen Kuchen. 

Währen Indien also schon feiert und das Spektakel auslebt, gerät die Vorabshow in Pakistan ein wenig spezieller. Durch das Grenztor können wir einen Einbeinigen beobachten, der eine Flagge schwenkt und sich dabei etwa eine halbe Stunde ununterbrochen hüpfend im Kreis dreht. Uns wird zwar schon vom Zuschauen schwindelig, er hingegen gerät nicht einmal ins Schwanken. 

Der Höhepunkt der Flaggenparade

Nacheinander laufen Soldaten in Paradeuniform mit einem extrem übertriebenen Marsch ein, bleiben vor dem Grenztor stehen, stampfen und werfen theatralisch die Füße nach oben. Gelegentlich werden dabei auch andere Verrenkungen gemacht, beinahe obszöne Gesten oder Kampfschreie ausgestoßen. Nun präsentiert man, was man an überlegener Ausrüstung hat. Gewehre, ungefähr acht Stück heute und drei Militärhunde, ein Golden Retriever, ein Labrador und ein Schäferhund – nicht mehr die Jüngsten und ein bisschen fett, aber sehr niedlich und hoch motiviert trotz des Lärms.

Nachdem man sich ungefähr zwanzig Minuten lang angeschrien und mit den Füßen vor der Nase herumgewedelt hat, geht die Sonne unter. Daher ist auch die Zeremonie gezwungen zum Punkt zu kommen.
Das Tor wird geöffnet, man zeigt sich noch einmal die Schuhsohlen, dann werden mit viel Tamtam synchron die Flaggen eingeholt, gefaltet und dann mit Eskorte in Sicherheit gebracht. Man reicht sich noch kurz die Hände – kurz und militärisch zackig. Dann schließt sich das Tor für den Tag. Die zurückbleibenden Soldaten halten noch ein kurzes Schwätzchen mit den Kollegen von der anderen Seite, solange niemand auf sie achtet. Damit ist der offizielle Teil auch schon vorbei. Zeit für Selfies.

Während wir noch versuchen, ein Bild mit einem der hünenhaften Grenzsoldaten in Paradeuniform zu ergattern, haben zwei Damen vom Sicherheitsdienst ganz andere Pläne: Selfies mit uns. Es bleiben nicht die Einzigen heute. Wir sind zu dritt aber schnell voll ausgelastet. Von allen Seiten werden uns plötzlich Handys vor die Nase gehalten und ein Grinsen und Daumen hoch scheint einigen Leuten wirklich den Abend zu versüßen. Wir haben keine Eile, also spielen wir geduldig mit. Tatsächlich nimmt es dermaßen überhand, dass Leute Anstehen für ein Foto mit uns, bis uns schließlich ein Militärmensch bittet, doch keine Bilder mehr zu machen, sie würden dann doch gerne langsam Feierabend machen und die Leute würden sonst nicht heimgehen. Na gut, wenn er so nett fragt…

Die Geschichte der Wagah-Border Zeremonie

Seit wann es sie Zeremonie gibt, dazu finden wir verschiedene Angaben. Vermutlich geht sie bis auf das Jahr 1959 zurück, auch wenn sie in Zeiten von hochkochenden Grenzkonflikten gelegentlich ausgesetzt wurde. Andere Quellen sprechen davon, dass die heutige Zeremonie erst seit 1986 besteht. Vielleicht stimmt auch beides und die einstige Flaggenzeremonie wurde erst später zu der heutigen Silly Goose Walk Parade abgewandelt?

Erst im Jahr 1947, nach dem Zweiten Weltkrieg entstand die Wagah-Grenze. Groß Britannien, die Besatzungsmacht war nach dem Krieg pleite, Britisch-Indien probte unter Gandhis Führung den Aufstand. Muslime waren auf dem damaligen Besatzungsgebiet in der Unterzahl und fürchteten, im neuen indischen Staat in die politische Unterdrückung zu fallen. Eine Aufteilung des hinduistischen und muslimischen Staatsgebiets wurde beschlossen. Den Grenzverlauf zog ein Brite, nachdem sich die lokalen Parteien nicht zeitgerecht einig werden konnten.
Sir Cyril Radcliffe hatte von den lokalen Gegebenheiten kaum Ahnung, aber er hatte Statistiken. Entsprechend zog er einen Grenzverlauf datengetrieben zwischen Gebieten mit vornehmlich muslimischer und mehrheitlich hinduistischer Bevölkerung und spaltete damit auch das vormalige Königreich Punjab. 

Ohne Vorwarnung wurde so aus einem Land innerhalb weniger Tage zwei. Wie eine klaffende Wunde riss die neue Grenzlinie das Land auf, das bis dahin ein Einziges gewesen war. Wer das Pech hatte auf der falschen Seite zu leben, nicht dort, wo seine Religion ihn nun verortete, dem blieben nur wenige Stunden, um Hab und Gut zu packen und sein Heil in der Flucht zu suchen. Es folgten Vertreibung, Flucht und Mord. Viele Menschen starben auf den langen unwegsamen Märschen an Hunger und Erschöpfung. Frauen und Mädchen wurden von eigenen Angehörigen getötet, um zu verhindern, dass sie vom „Feind“ entführt und vergewaltigt – also „gestohlen“ werden konnten. 

Mit der neuen Grenzlinie war auch eine Konfliktlinie geschaffen, an der sich Spannungen entladen konnten. Zuletzt taten sie das 2014, als sich auf der pakistanischen Seite einige hundert Meter vor der Grenze ein Taliban-Selbstmordattentäter in die Luft sprengte und 61 Menschen mit in den Tod riss. 

Wissenswertes zu Wagah-Zeremonie und rundherum

Auch wenn die Zeremonie patriotisch ist, auch wenn man sich gegenseitig anbrüllt, auch wenn fleißig mit den Flaggen gewedelt wird, darf man doch nicht übersehen, dass die Zeremonie bis ins Detail durchchoreographiert und aufeinander abgestimmt ist. Man plant gemeinsam, man übt gemeinsam. Uns erinnert es ein bisschen an einen gemeinsamen Tanz – einen wütenden Tango mit Bollywood Musik hinterlegt.

In den letzten Jahren gab es immer wieder verschiedene Bestrebungen die Zeremonie abzuändern. Manche Parteien wünschen sie sich ernster, wohl hauptsächlich, um den schwelenden Konflikt zu repräsentieren. Andere hätten sie gerne weniger militärisch, um einen weiteren Schritt in Richtung Frieden und Wiederversöhnung zu gehen.

Der neueste Konflikt wird übrigens mit Flaggen der anderen Art ausgetragen. Im Jahr 2017 errichtete Indien einen Flaggenmast mit einer Höhe von knapp 110 Metern. Kurz darauf stellte Pakistan einen etwa 120 Meter hohen Masten auf. 

Was man nicht bedacht hatte: In dieser Höhe geht sehr viel Wind. Nach indischem Gesetz muss eine Flagge allerdings sofort ausgetauscht werden, wenn sie beschädigt ist und das passiert hier oft. Bei einem Preis von knapp 2000€ pro Flagge geht das inzwischen ganz schön ins Geld. 

Wie besucht man die tägliche Wagah-Zeremonie in Indien am besten?

Anfahrt Wagah-Border

Die Grenze liegt in nur 32 Kilometer von Amritsar entfernt und nur 3 Kilometer vom Grenzort Attari. Es gibt Minivans, die die Strecke regelmäßig fahren, die einfachste Methode ist jedoch einen Fahrer zu finden, der euch hinbringt, wartet und euch später mit zurücknimmt, da gerade nach der Zeremonie alle auf einmal wegwollen und entsprechend alles super voll ist. Beim Organisieren hilft Euch entweder eure Unterkunft, oder ihr lasst euch von einem Taxifahrer ein Angebot machen. Wir haben für den Fahrer ca 25€ gezahlt.

Achtung: Es gibt im Grenzbereich kein Mobilfunknetz (Störsender da militärische Zone). Transport Apps oder das Anrufen eines Fahrers funktionieren daher nicht.

Adresse

Wagah, Hardo Rattan, Punjab 143108

Mitbringen

  • Pass
  • Taschen sind verboten (komplett durchsichtige Taschen sind wohl erlaubt)
  • Sonnenschutz 
  • Evtl. Gehörschutz (es ist wirklich laut)
  • Getränke und Essen könnt ihr mitbringen aber auch vor Ort kaufen

Zeitplanung

Der Grenzübertritt ist täglich von 10:00- 15:45 Uhr möglich. 

Die Zeremonie beginnt im Winter um 16:15, im Sommer um 17:15 Uhr

Aber: Einheimische raten bereits um 13:00 Uhr am Eingang zu sein, wenn man gute Plätze möchte. Für den normalen Eintritt, gerade in der Hochsaison gilt das definitiv. Während Corona war weniger los, noch dazu bekamen wir eine überraschende VIP Behandlung. Daher hätte es bei uns auch leicht ausgereicht eine halbe Stunde vor Beginn da zu sein. Aber verlassen würden wir uns darauf wiederum nicht. 

Eintritt zur Wagah- / Attari-Border Zeremonie

Kostenlos

Ähnliche Zeremonien

Wenn ihr es nicht zur Wagah- / Attari-Boarder schafft, habt ihr auch an anderen Orten in Indien die Möglichkeit, Adaptionen der Zeremonie beizuwohnen. 

  • Hussainiwala Border in Punjab, Indien – bzw. das Pendant Ganda Singh Wala Border im Kasur District in Pakistan  
  • Fazilka Border Indien mit Sulaimanki in  Punjab (Pakistan) 
  • Sadiqui-Sulemanki Border Zeremonie bei Fazilka in Punjab

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